Im Jahr 2019 waren Deutsche im Schnitt 10,9 Tage arbeitsunfähig. Bis zu sechs Wochen können Erkrankte auf Entgeltfortzahlung bauen – doch was, wenn die Krankheit länger andauert? Und wie finden Langzeiterkrankte den Weg zurück ins Berufsleben? Eine Option ist das Hamburger Modell. Welche Maßnahmen dieses umfasst und wer Anspruch darauf hat, erfahren Sie in unserem Beitrag.
Was ist das Hamburger Modell?
Beim Hamburger Modell, in der Fachsprache „Stufenweise Wiedereingliederung“ genannt, handelt es sich um eine rehabilitativ-therapeutische Maßnahme, die zum betrieblichen Gesundheitsmanagement gehört. Sie ist im Sozialgesetzbuch festgeschrieben und soll Erwerbstätigen nach einer langen Arbeitsunfähigkeit Schritt für Schritt den Wiedereinstieg ins Berufsleben ermöglichen. Nach einer Reha- oder Krankenhausbehandlung mit dazugehöriger langfristiger Arbeitsunfähigkeit vermerkt der Arzt oft eine Empfehlung auf Wiedereingliederung im Entlassungsbericht.
Während der Wiedereingliederungsphase gilt der Betroffene weiterhin als arbeitsunfähig und erhält Krankengeld beziehungsweise Übergangsgeld. Die Länge des Hamburger Modells kann zwischen wenigen Wochen und sechs Monaten variieren.
Wer kann das Hamburger Modell in Anspruch nehmen?
Alle Beschäftigten, die bei einer gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versichert sind, haben nach einer längeren Krankheit Anspruch auf eine Wiedereingliederung, unterteilt in mehrere Schritte. Privat Versicherte können ähnliche Maßnahmen in Anspruch nehmen. Wichtig hierbei: Die Wiedereingliederung ist eine freiwillige Maßnahme. Das ist der große Unterschied zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM), zu dessen Angebot Unternehmen verpflichtet sind, sobald der Arbeitnehmer länger als sechs Wochen arbeitsunfähig wird. Der Erkrankte kann selbst entscheiden, ob er das Hamburger Modell nutzen möchte. Negative Folgen bei einer Ablehnung entstehen nicht.
Voraussetzungen für das Hamburger Modell
Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Hamburger Modells ist, dass der Betroffene während der Maßnahme weiterhin offiziell arbeitsunfähig bleibt. Er erhält auch für die Dauer des Wiedereingliederungsverfahrens keinen Arbeitslohn, sondern eine Entgeltfortzahlung. Weiterhin muss feststehen, dass er für die Wiedereingliederung ausreichend belastbar ist. Außerdem muss eine Prognose vorliegen, dass die schrittweise Wiedereingliederung für eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit am alten Arbeitsplatz sorgen wird.
Zustimmung auf allen Seiten
Alle Parteien – dazu gehören etwa der betroffene Arbeitsunfähige als auch die Krankenkasse – müssen der Wiedereingliederung zustimmen. Hier wird einer der Unterschiede zur BEM deutlich: Folglich steht es dem Dienstherrn frei, die Maßnahme abzulehnen und darauf zu bestehen, dass der Mitarbeiter erst dann wieder seine Arbeit antritt, wenn er wieder vollständig arbeitsfähig ist.
Wiedereingliederungspläne vom Arzt
Der nächste Punkt: Der Arzt muss einen Wiedereingliederungsplan aufstellen. Dieser muss den Beginn und das Ende des Stufenplans beinhalten, außerdem nähere Angaben zu den einzelnen Stufen. Dazu gehören vor allem die Art und Dauer der jeweiligen Abstufung. Auch muss der Arzt eine Prognose zum Zeitpunkt der Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit stellen und festlegen, welche Tätigkeiten und Belastungen für den wieder Einzugliedernden nicht zumutbar sind.
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Am Arbeitsplatz nichts Neues
Eine weitere Voraussetzung ist, dass der Betroffene am bisherigen Arbeitsplatz eingesetzt wird. Die Wiedereingliederung kann zum Beispiel durch eine Arbeitszeitreduzierung erfolgen, oder durch die Veränderung oder Umbau des Arbeitsplatzes.
„Können arbeitsunfähige Versicherte nach ärztlicher Feststellung ihre bisherige Tätigkeit teilweise verrichten und können sie durch eine stufenweise Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit voraussichtlich besser wieder in das Erwerbsleben eingegliedert werden, soll der Arzt auf der Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit Art und Umfang der möglichen Tätigkeiten angeben und dabei in geeigneten Fällen die Stellungnahme des Betriebsarztes oder mit Zustimmung der Krankenkasse die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes (§ 275) einholen.“ – Aus dem Sozialgesetzbuch, § 74 SGB
Wie läuft die Wiedereingliederung ab?
Die Wiedereingliederung nach Hamburger Modell läuft in verschiedenen Stufen ab. Besonders wichtig: Zunächst muss der Beginn der Maßnahme schriftlich festgehalten werden. Außerdem muss das Rücktrittsrecht für alle Parteien enthalten sein – und die aufgeführten Gründe dafür. Darüber hinaus muss der vom Arzt erstellte Stufenplan feststehen. Darin ist aufgeführt, wie die einzelnen Stufen ausgestaltet sind. Zum Beispiel kann Stufe 1 etwa drei Stunden Arbeitszeit beinhalten, Stufe zwei dann fünf Stunden und in aufsteigender Reihenfolge weiter. Die Dauer dieser Wiedereingliederung liegt zwischen wenigen Wochen und einem halben Jahr. Und während der gesamten Dauer können sämtliche Vertragsseiten, also der Betroffene, der Arbeitgeber, der Arzt und die Krankenkasse, das Hamburger Modell abbrechen. Dafür muss es allerdings stichhaltige Gründe geben. Ein Beispiel: Das Programm gilt als gescheitert, wenn der Betroffene aus gesundheitlichen Gründen sieben Tage lang nicht am Wiedereingliederungsprogramm teilnehmen konnte. Es gibt jedoch Ausnahmen in Einzelfällen.
Nicht zu viel zumuten
Wenn sich der Betroffene im Hamburger Modell übernehmen sollte, kann der Dienstherr das Programm aus gesundheitlichen Gründen abbrechen, auch wenn ihm das selbst schadet. Hier ist vorher ein Gespräch mit der Krankenkasse angeraten. Eine weitere Möglichkeit ist eine Justierung des vom Arzt ausgearbeiteten Stufenplans. In dem Fall kann der „Schwierigkeitsgrad“ bestimmter Stufen nach unten hin angepasst werden, damit die Belastung für den Betroffenen tragbar ist.
Wo kann man das Hamburger Modell beantragen?
Die erste Anlaufstelle ist hier der behandelnde Arzt. Sobald er die Wiedereingliederung als sinnvoll eingestuft und den Plan erstellt hat, müssen Arbeitgeber und Krankenkasse dem zustimmen. Der mit dem Arzt abgestimmte Plan muss danach zeitnah an die zuständigen Stellen beim Arbeitgeber und an die Krankenkasse gesendet werden.
Ist eine Ablehnung möglich?
Grundsätzlich handelt es sich beim Hamburger Modell um eine vollkommen freiwillige Maßnahme. Der Arbeitgeber kann den Betroffenen nicht zur Wiedereingliederung zwingen, sie jedoch vorschlagen. Unter bestimmten Voraussetzungen besteht hier allerdings ein Rechtsanspruch auf das Hamburger Modell. Hier spielt der Arzt die wichtigste Rolle: Wenn er die Belastbarkeit des Patienten als ausreichend einstuft und die Durchführung der Wiedereingliederung für sinnvoll hält, so bestehen für gewöhnlich keine weiteren Barrieren. Außerdem muss er die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit prognostizieren.
Der Krankenkasseninfo zufolge besteht für Betroffene ein rechtlicher Anspruch auf die Wiedereingliederung. Dementsprechend dürfen weder die Krankenkasse oder die Berufsgenossenschaft, noch der Arbeitgeber die Maßnahme verweigern.
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