Encephalomyelitis disseminate – der lateinische Name für Multiple Sklerose klingt genauso kompliziert wie die Erkrankung selbst. Der erste Begriff beschreibt allgemein die Entzündungen im Gehirn und Rückenmark, die keine Rückschlüsse auf die Ursache zulassen. Die Dessimination weist auf die Zerstreuung der Entzündungen und den schubhaften Charakter der Krankheit hin. Nicht umsonst wird MS auch „die Krankheit mit den 1000 Gesichtern“ genannt. Sie kann von Patient zu Patient ganz unterschiedlich verlaufen und behandelt werden, sodass sich allgemeingültige Aussagen nur bedingt treffen lassen. Gerade weil die Krankheit noch viele Fragen offen lässt, wollen wir den aktuellen Wissensstand und die Behandlungsmöglichkeiten in diesem Beitrag festhalten.
Was ist Multiple Sklerose?
Die Multiple Sklerose ist eine chronisch entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Das gesamte Gehirn und Rückenmark können betroffen sein. Bei MS-Patienten werden durch das eigene Immunsystem (Teile von) Nervenfasern zerstört, die maßgeblich an der Weiterleitung von Impulsen beteiligt sind. Dadurch können Lähmungserscheinungen auftreten, Muskeln können nicht mehr richtig koordiniert werden oder Sinnessignale nicht korrekt weitergegeben werden. Die ersten MS-Symptome treten meist im Alter von 20 bis 40 Jahren auf. Obwohl Ersterkrankungen auch bei Kindern, Jugendlichen und nach dem 45. Lebensjahr zunehmen. Die Multiple Sklerose kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Bei milder Ausprägung ist eine Beeinträchtigung im Alltagsleben kaum spürbar. Ist die Krankheit stark ausgeprägt, ist die körperliche und psychische Gesundheit erheblich betroffen. MS ist als häufigste neurologische Erkrankung bekannt, die im jungen Erwachsenenalter zu einer bleibenden Behinderung und einer vorzeitigen Berentung (ca. ein Drittel der Patienten) führen kann. Das Vorurteil, dass Multiple Sklerose zwingend tödlich verläuft, trifft übrigens nicht zu. Auch lässt sie sich nicht mit Muskelschwund oder einer psychischen Erkrankung gleichsetzen. Außerdem führt MS nicht in jedem Fall zu einem Leben im Rollstuhl.
Wie entsteht Multiple Sklerose?
Das Gehirn funktioniert wie eine Art Schaltzentrale, von der Signale in den Körper gesendet und von dort auch empfangen werden. Die Informationen werden von Nervenfasern geleitet, die ähnlich wie elektrische Kabel von einer Isolierschicht umgeben sind. Diese Schutzschicht besteht aus dem Stoff Myelin. Wenn darauf ein Entzündungsherd entsteht, können Botschaften nicht mehr so wirkungsvoll übertragen werden. Das kann bei MS-Erkrankten Missempfindungen wie vermehrtes Stolpern oder Schwierigkeiten beim Sehen auslösen. Treten mehrere von diesen Entzündungsherden in rascher Folge auf, spricht man von einem Schub. Meist entwickelt er sich innerhalb von Stunden oder Tagen und klingt nach einiger Zeit wieder ab.
Welche Symptome treten bei Multipler Sklerose auf?
Zu Beginn einer MS-Erkrankung treten häufig motorische Störungen auf, wie Lähmungen, Sehstörungen und Gefühlsstörungen der Haut in Form von Kribbeln. Schmerzhafte Missempfindungen, Taubheitsgefühl, Doppelbilder oder „verwaschenes“ Sprechen sind ebenfalls mögliche Symptome. Typisch sind außerdem Blasenstörungen oder Unsicherheit beim Gehen und beim Greifen.
Daneben können Beschwerden auftauchen, die nicht wirklich sichtbar bzw. fassbar sind. Dazu zählt abnorme, vorzeitige Erschöpfbarkeit (sogenannte Fatigue), kognitive Störungen, Schwindel, Einschränkungen bei der Aufmerksamkeit, depressive Stimmungen sowie sexuelle Funktionsstörungen. Unsichtbare wie auch sichtbare Symptome der MS können Erkrankte im Alltag stark beeinträchtigen und in ihrer Lebensqualität einschränken. Was Pflege in jungen Jahren bedeutet und wie Sie sich absichern können, erfahren Sie in unserem Artikel „Jung und pflegebedürftig: So funktioniert Pflege in jungen Jahren“.
Wie wird Multiple Sklerose diagnostiziert?
Die meisten Anfangsbeschwerden können auch anderen Krankheiten zugeordnet werden. Deshalb ist es selbst für einen erfahrenen Arzt eine Herausforderung, die Krankheitszeichen bereits im Frühstadium exakt einzuordnen. Eine umfassende Anamnese und eine Reihe von weiteren detaillierten Untersuchungen liefern eine gesicherte Diagnose. Zu den Methoden zähle eine neurologische, körperliche Untersuchung und eine Kernspinresonanz-Tomographie des Gehirns und des Rückenmarkes. Außerdem wird mithilfe von evozierten Potenzialen die Nervenleitfähigkeit und -geschwindigkeit gemessen. Mithilfe der Lumbalpunktion gewinnt man Nervenwasser, dessen Untersuchung weitere Rückschlüsse ermöglicht.
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Manchmal kann es Wochen, Monate oder sogar Jahre dauern bis eine Diagnose eindeutig feststeht. Wenn Sie oder jemand in Ihrem Umfeld die Diagnose Multiple Sklerose erhalten haben, sprechen Sie mit einem Arzt offen über Ihre Zweifel und Ängste. Sie können sich auch eine Zweitmeinung einholen. Dadurch kann sich ein MS-Verdacht bestätigen oder widerlegen lassen.
Wie ist der aktuelle Forschungsstand zu Multipler Sklerose?
Weltweit leben laut Deutscher Multiple Sklerose Gesellschaft Bundesverband e.V. weltweit etwa 2,8 Millionen Menschen mit Multipler Sklerose, in Deutschland mehr als 280.000. Jährlich wird bei mehr als 15.000 Menschen MS neu diagnostiziert. Frauen erkranken etwa doppelt so häufig wie Männer. Zurzeit ist die Krankheit noch nicht gänzlich heilbar, allerdings lässt sich die Erkrankungsaktivität bei einigen Patienten kontrollieren. Somit kann der Verlauf gebremst und die Symptome gelindert werden.
Wie wird Multiple Sklerose behandelt?
Bei akuten Schüben erhalten Patienten hochdosierte Entzündungshemmer, meist Steroidhormone. Zur Basisbehandlung werden Immunsuppressiva verschrieben – Medikamente, die die Immunabwehr dämpfen. Sie sollen das Fortschreiten der chronischen Krankheit aufhalten. Hinzu kommen physio- und ergotherapeutische Maßnahmen, logopädische Hilfe und – ganz wichtig – psychotherapeutische Beratung. Ergänzend können homöopathische oder anthroposophische Heilmethoden, wie künstlerische Therapie, Wickel und Auflagen eingesetzt werden. Wenn die Medikamente kaum oder gar nicht wirken und die MS rasch voranschreitet, kann mithilfe von Stammzellentransplantation aus eigenen Stammzellen ein neues, gesundes Immunsystem entstehen. Obwohl Studien den Erfolg eindeutig bestätigt haben und es bei vielen Transplantierten teilweise schon zehn Jahre lang keine Schübe mehr gab, übernehmen Krankenkassen in der Regel die Kosten für die Stammzellentherapie nicht.
Diagnose MS: Wohin kann ich mich wenden?
Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft bietet umfassende und tiefergehende Information zum Thema sowie Tipps und Austausch zum Leben mit MS. Wenn Sie auf der Suche nach Ärzten oder einer Praxis in Ihrer Nähe sind: Im Klinik-Verzeichnis mit DMSG-zertifizierten MS-Schwerpunktzentren finden sie schnelle Beratung in Ihrer Nähe. Nicht nur Betroffene kann die Diagnose MS hart treffen, auch Angehörige müssen damit umgehen.
Was Sie in Notfallsituationen tun können und wo Sie Selbsthilfe sowie psychologische Beratung für Angehörige finden, lesen Sie bei Neurologen und Psychiater im Netz.
Menschen mit MS-Diagnose, die ihren Lebensweg weitergehen, porträtiert die Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker.
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